Theresia Gerding
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MARION HÖVELMEYER

Spielraum*

* Anmerkung: Der Text entstand anlässlich der Atelierausstellung 'Spielraum' im Jahre 2000 (siehe auch 'Räume').

'Ein Raum zum Spielen’ lautet gemeinhin die unverblümte Antwort, die man erhält, wenn man danach fragt, was ein „Spielraum“ sei. In Bezug auf die gleichnamige Ausstellung Theresia Gerdings könnte die Antwort auf den ersten Blick auch kaum zutreffender sein, obwohl: Was ist denn eigentlich Spielen und was ein Raum?’

Mit ihrer Ausstellung „Spielraum“ sucht Theresia Gerding nach Antworten auf diese Frage, indem sie zunächst realen Raum als Grundbedingung von Spielen begreift. Wenn die Künstlerin von einem „Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Ordnung“ (1) spricht, so ist damit aber in Anlehnung an eine metaphorische Bedeutung des Begriffes „Spielraum“ vor allem das Zusammenwirken zweier künstlerischer Konzepte gemeint: die spielerische Ausarbeitung, Verfremdung und Versetzung einzelner, zumeist kleiner Gegenstände in einer „Schutz und Ordnung gebenden Arbeitsstruktur“ (2) auf der einen Seite, und eine diese Gegenstände in Szene setzende Sammlungskonzeption auf der anderen Seite.

Die kleinen Gegenstände

Theresia Gerdings Arbeitsweise ist spielerisch und induktiv. Ihr im Prinzip nie endender künstlerischer Prozess besteht aus Sammeln, Assoziieren und erneutem Ausprobieren. Dazu werden mitunter Fundstücke wie kleine Spielzeuge und Gebrauchsgegenstände älteren Datums, kleine Tiere, Steine
u. ä. verwendet, die zum Teil künstlerisch bearbeitet werden. Die meisten Gegenstände und Figuren sind jedoch als künstlerische Objekte entstanden. Einige dieser Objekte erinnern, was ihre Farbigkeit angeht, an Arbeiten von Niki de St. Phalle.

Den ehemaligen Fundstücken wie den 'rein’ künstlerischen Objekten ist gemein, dass sie einen 'Blick zurück’ evozieren, der mit einer Sehnsucht nach Vergangenem und vielleicht auch Verlorenem verknüpft ist: Ein Spielzeug, dessen Flicken wirken, als wollten sie ein strapaziöses Leben bekunden, ein kleiner Gebrauchsgegenstand, den es in den 50er Jahren gab, ein farbenfrohes Püppchen als Repräsentation von Kindheit. Bei einigen Fundstücken ist durch künstlerische Bearbeitung die ehemalige Funktion nicht mehr erkennbar. Aufgebrachte Materialien wie Wachs, Stoff, Papier usw. bewirken mitunter eine morbide Plastizität, die Vergänglichkeit ins Spiel bringt.

Diese Andeutungen von Vergänglichkeit bzw. Gebrauchsspuren sind in Theresia Gerdings Arbeiten von großer Bedeutung. Damit ist keine persönliche Geschichte bzw. Beziehung zu den Dingen gemeint: Der geflickte Hund aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts beispielsweise wurde von der Künstlerin nicht persönlich gestreichelt, zumindest nicht, als sie ein Kind war. Die Objekte fungieren vielmehr als Fetische, d. h. es sind tote, abstrakte Gegenstände, die mit einer Aura von Geschichte, Geheimnis und Magie verknüpft sind. (3) Dabei irritieren sie durch ihre künstlerische Bearbeitung oder ihr Arrangement mit anderen Objekten.

Die große Ordnung

Welches Objekt als ein besonders bemerkenswertes gilt, als ein besonders mysteriöses oder wertvolles, hängt mit der Art seiner Inszenierung bzw. Musealisierung unmittelbar zusammen. Zu einem Besonderen der Wahrnehmung wird nicht nur etwas mit diffuser Geschichte bzw. Funktionalität, sondern auch dasjenige, das exponiert, versteckt, oder besonders sorgfältig aufbewahrt wird. In Theresia Gerdings Ausstellung wird diese Inszenierung durch Vitrinen, Schränke, Schachteln und Tische gewährleistet, die zum Teil auch Fundstücke sind. Erkennbar ist ein konzeptioneller Ansatz des Ordnens und Sammelns, der explizit die Praktiken der Verwahrung und Präsentation in den Mittelpunkt rückt. Ähnlich wie Daniel Spoerri mit seinem „Kölner Museum der Liebe zu den Dingen“ wird damit an ein aus dem 16. Jahrhundert stammendes Sammlungskonzept der „Kunst- und Wunderkammern“ angeknüpft, das in gewisser Weise als „Vorläufer unserer heutigen Museen“ (4) betrachtet werden kann. In diesen „Kunst- und Wunderkammern“ waren Objekte, die von der Natur hervorgebracht’ waren, neben aus 'Menschenhand hervorgegangenen’ Objekten zu sehen, so dass es sich um keine thematischen Spezialsammlungen handelte. Den dargebotenen Objekten wurden so auch meist weltumfassende, „kosmische Kraftlinien“ (5) zugeschrieben. Theresia Gerding verfolgt eine ähnliche Absicht: Sie möchte durch das Arrangement von Gegenständen, die nur bedingt funktionale oder ästhetische Verbindungen aufweisen, und durch ihre künstlerische Überarbeitung, die Betrachtenden animieren, ihre jeweiligen Assoziation zu eigenen Geschichten zusammenzufügen. (6)

Unter den Präsentationsobjekten der Ausstellung „Spielraum“ scheint dem Tisch eine besondere Relevanz zuzukommen. Kulturgeschichtlich fungierte er in früheren Zeiten als eine Art Hausaltar, der nur zu besonderen Anlässen benutzt wurde und meistens mit einem weißen Leinentuch versehen war. (7) In Theresia Gerdings Ausstellung wird durch das Hervortreten weißer Tische u. ä. eine feierliche Atmosphäre erzielt, die den Eindruck erweckt, als seien der als Küchentisch identifizierbare Tisch oder das aus dem Krankenhaus stammende Rolltischchen irgendwie noch einmal zu Ehren’ gekommen.

Das Zusammenwirken

Ein Skizzen- und Textbuch beispielweise stelt zusammen mit anderen Gegenständen und einem Tisch eine Installation mit dem Titel „Küchentischphilosophie“ dar. Eine ebenfalls als Gesamtinstallation zu verstehende Glassvitrine gibt mysteriös wirkende kleine Objekte in Schachteln, in Schachteln, in Regalen, im Schrank zu erkennen. Das Prinzip der Verschachtelung forciert dabei ein Begehren, etwas so gut und irgendwie auch 'ehrfürchtig’ Verwahrtes doch endlich zu sehen zu bekommen.

Theresia Gerding setzt mit ihrer Ausstellung „Spielraum“ auf zwei Ebenen an: Sie präsentiert die Ergebnisse ihrer „Spielerischen Arbeit“ (8) indem sie bestimmte Inszenierungspraktiken thematisiert, und indem sie dies tut, 'spielt’ sie mit dem Begehren des Betrachtenden, 'Wundersames’ zu Gesicht zu bekommen. Eine zweifache 'Spielerei’, sozusagen.


(1) Theresia Gerding verweist im Gespräch mit Marion Hövelmeyer am 24. 10. 2000 auf eine „übertragene“ Bedeutung und Verwendung des Begriffes „Spielraum“ (z. B. Spielraum beim Handeln). Gemeint ist eine Freiheit innerhalb bestimmter Grenzen.
(2) Theresia Gerding im Gespräch …a. a. O.
(3) Ein Fetisch ist etwas, dass „an die Stelle dessen (tritt), was einmal da gewesen sein soll, was nie gefehlt haben soll(…) und(…) immer wieder präsent sein soll.“ Etwas, das eine Einheit verspricht, „die nie war, aber immer vorgestellt werden will – als Zeichen des Triumphes und des Schutzes.“ (Wenk, Silke: Geschlechterdifferenz und visuelle Repräsentation des Politischen. In: Baumhoff, Anja; u. a. (Hg.): Frauen Kunst Wissenschaft, Heft 27, Juni 1999, S. 32, 39/40.
(4) Brock, Bazon: Ain herrlich schen kunststückh im theatrum sapientiae. Zur Rekonstruktion einer zeitgenössischen Kunst-und Wunderkammer. In: Kölnischer Kunstverein (Hg.): Le museé sentimental de Cologne nach einer Idee von Daniel Spoerri. Ausstellungskatalog, 1979, S. 18.
(5) ebd.
(6) Theresia Gerding im Gespräch … a. a. O.
(7) vgl. Deneke, Bernward: Europäische Volkskunst. In: Propyläen Kunstgeschichte. Bd. 16, 1967, S. 76.
(8) Theresia Gerding im Gespräch …a. a. O.

© Marion Hövelmeyer